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Freiburgs Innenverteidiger: Kreativität und Aggressivität im richtigen Moment

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Der SC Freiburg spielt bisher die beste Saison der Vereinsgeschichte. Das gesamte Team arbeitet taktisch stark miteinander, ein großer Fokus liegt jedoch auf den Innenverteidigern. Die Defensive der Freiburger im Blickfeld.

Kreativität aus der Abwehr

Ist der SC Freiburg in Ballbesitz, liegt bei den Innenverteidigern eine große Aufgabe: Die Spieleröffnung. Die Freiburger haben zwar ein kreatives Mittelfeld mit Nicolas Höfler oder Vincenzo Grifo, jedoch steht vor allem letzterer gerne sehr hoch. Besonders im 3-4-3-System ist Grifo eine Art Halbstürmer, dessen direktes Anspiel nicht von alleine passiert. Es müssen Räume geschaffen und Defensivketten überspielt werden.

Für diese Aufgabe ist der SC Freiburg mit mehreren spielstarken Innenverteidigern besonders gut gerüstet. Vor allem Philipp Lienhart und Nico Schlotterbeck (da Nico Stammspieler ist, wird der alleinstehende Nachname für ihn benutzt – sein Bruder Keven wird explizit abweichend genannt) ragen dabei heraus. In der Dreierkette ist Lienhart defensiv etwas mehr gebunden, da er als zentraler Spieler mehr auf Ballverteilung und Absicherung spezialisiert ist.

In der Viererkette werden aber auch Lienharts Offensivqualitäten gefördert. Schlotterbeck zeigt seine offensiven Läufe systemunabhängig schon die ganze Saison – und beeindruckte damit sogar Nationaltrainer Hansi Flick, der ihn mehrfach in die Deutschland-Auswahl berufen hatte.

Das Anrücken mit Ball

Um tiefe Abwehrblöcke zu überspielen, läuft Schlotterbeck immer wieder auf die gegnerische Defensive zu. Dies ermöglicht weitere Anspiele. Steht er einfach tief, kann der Gegner seine Passoptionen zustellen und ihm keinerlei progressive Passoptionen anbieten. Geht er jedoch selbst nach vorne, muss sich einer der Verteidiger lösen und ihn attackieren – dessen Gegenspieler wird dann eine neue Passoption im Spiel nach vorne.

„Wenn sie die Lücke sehen, dürfen sie anrücken“, erklärt Cheftrainer Christian Streich, „Wenn es die Möglichkeit gibt, etwas kreativ zu initiieren, dann sollen sie es sogar tun. Das war bei uns schon immer so.“

Dabei wolle man aber variabel bleiben. Die verschiedenen Spieler in der Innenverteidigung „haben alle Qualitäten nach vorne“ – das gilt laut Streich nicht nur für die genannten Lienhart und Schlotterbeck, auch Bruder Keven, Manuel Gulde und Dominique Heintz nennt er in diesem Kontext. Besonders Keven Schlotterbeck überzeugte in der vergangenen Saison durch seine Dribblings ins zentrale Mittelfeld, um dann über Sechser Höfler das Spiel zu eröffnen.

Spielverlagerung aus der Abwehr

Um diese sich öffnenden Räume zu schließen, verschieben viele Mannschaften den gesamten Abwehrblock, doch auch darauf ist der SC Freiburg vorbereitet. Die Innenverteidiger bringen eine enorme Passsicherheit mit, auch über lange Strecken. Der stärkste Spieler in dieser Kategorie ist Lienhart (144/190 lange Pässe angebracht, 75.8%), der aus allen lebenslagen seine Mitspieler findet. Schlotterbeck ist in der Erfolgsquote etwas schwächer (108/176, 61,4%), bemüht jedoch häufiger den direkteren Weg und spielt mehr progressive Pässe (3.81 progressive Pässe pro 90min) als sein Gegenüber (2.23 von Lienhart).

Auch Manuel Gulde, dem nachgesagt wird, ein reiner Kampfspieler zu sein, zeigt hierbei Qualitäten. Er bemüht zwar deutlich seltener als seine Kollegen den langen Pass, zeigt jedoch eine ähnliche Sicherheit (49/62, 79%) und spielt sogar mehr progressive Pässe als Lienhart (2.5 pro 90min).

Herstellen der Restverteidigung

Wo die Innenverteidiger nach vorne stoßen, „muss keine Lücke entstehen. Es muss jemand anderes abkippen und die Lücke schließen, das ist Variabilität.“ Ein häufig gesehenes Muster in der Dreierkette war das Verschieben durch Philipp Lienhart auf die linke Abwehrseite. Mit einer Viererkette muss eher Außenverteidiger Christian Günter oder Sechser Höfler etwas zurückfallen, wenn Schlotterbeck seine Offensivaktionen startet.

Doch auch hier agiert der SC Freiburg variabel: Gegen Borussia Mönchengladbach war vereinzelt zu sehen, wie Vincenzo Grifo sich als weiterer Kreativspieler aus seiner offensiven Rolle löste und zurückfallen lies, um Linksverteidiger Günter die Aktionen neben den Sechzehner zu ermöglichen.

Die übrigen Spieler „haben die Verantwortung, die Restverteidigung und Kontersicherung zu gestalten“, erklärt Streich die Aufgabenverteilung. „Das bedeutet es, das Spiel zu lesen – auch das der Mitspieler.“

Aggressivität gegen den Ball

Auch im Defensivverhalten sah man Schlotterbeck diese Saison häufiger aus der Kette rücken. Mit 7,68 gewonnenen Zweikämpfen pro 90 Minuten (bei einer Erfolgsquote von 65,19%) gehört Schlotterbeck zu den aktivsten fünf Defensivspielern der Bundesliga. Dieses aggressive Vorrücken, vor allem gegen lange Bälle, unterbricht schon viele Angriffe der Gegner frühzeitig und ermöglicht so Konterspielzüge gegen den Offensivsprint des Gegners.

Streich geht auf dieses Verhalten etwas genauer ein: „Je nachdem, wie die Bälle gespielt werden, muss der Innenverteidiger rausrücken. Vor allem ballnah, manchmal aber auch ballfern. Wenn du Dreierkette spielst, muss der ballferne Innenverteidiger auf den Diagonalball lauern.“

Dabei gehe es vor allem um das Positionsspiel. Der Innenverteidiger muss sich in eine bessere Position bringen als es der gegnerische Stürmer ist. Der Abstand darf nicht zu kurz sein, außerdem sei es immer gut, wenn der Stürmer den Ball mit dem Rücken zum Tor annehmen muss. Dann hat der Innenverteidiger die Sicherheit, dass der Stürmer den Ball nicht einfach vorbeilegt, kann ihn also noch aggressiver unter Druck setzen.

Abwehr bedeutet Teamarbeit

Die Aufgabenstellung, das zu tun, gilt zwar für alle Innenverteidiger, doch Philipp Lienhart bspw. ist eher ein absichernder Spielertyp. Das Zusammenspiel von „Hund und Katze“ als Duo macht die Freiburger Abwehrkombination besonders effektiv.

„Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Typen von Innenverteidigern. Manche sind „Stopper“, manche sind „Liberos“. Die Hund-Katze-Analogie passt sehr gut: Hunde sind ungestüm, energisch und wollen sofort den Ball bekommen. Katzen sind schlau, berechnend und holen den Ball geduldig durch intelligentes Positionieren“
Taktik-Analyst und Autor Michael Cox

Dass Lienhart diese „dog-mentality“ seltener zeigt, hilft bei der Abstimmung und dem Defensivverhalten. Die Zusammenarbeit und Kommunikation beschreibt Streich als wichtigste Elemente bei derartigen Defensivaktionen. So macht er auch die „nicht optimale“ Kommunikation für einzelne Chancen des Gegners verantwortlich (hier beispielhaft die mögliche Elfmeter-Situation von Marcus Thuram im Spiel gegen Gladbach).

Doch es reicht nicht alleine, dass die Innenverteidiger das unter sich ausmachen, auch aus der Mittelfeldzentrale müsse teilweise eingeschoben werden. So sah Streich Maximilian Eggestein in der Verantwortung, für Lienhart einzurücken, als das erste Tor für Eintracht Frankfurt fiel. „Maxi ist einen Moment zu spät, um diese kleine Lücke zu schließen, wo der Ball blöd hinspringt“, analysiert Streich die Situation, „Philipp Lienhart rückt genau richtig raus und ist im Zweikampf.“

Variabilität, Absicherung, Teamwork

Die Aspekte des Innenverteidiger-Spiels beim SC Freiburg sind vielfältig. Schon längst sind Innenverteidiger im modernen Fußball nicht mehr die schlechtesten Kicker auf dem Platz, die nur robust und zweikampfstark sein müssen. Doch beim SC Freiburg geht das derzeit besonders stark auf. Denn sie haben Variabilität, sichern sich gegenseitig ab und arbeiten als Team für den Erfolg der ganzen Mannschaft.

Autor: Nik Staiger (Twitter @Nik_Staiger)

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