Leistungssport bewegt, begeistert – und polarisiert. Was früher auf dem Platz, dem Court oder der Strecke verblieb, wird heute über Social Media öffentlich seziert, bewertet und kommentiert.
Dabei schlägt die Begeisterung allzu oft in Hass um. Drohungen, Beleidigungen und menschenverachtende Botschaften sind für viele Athletinnen und Athleten inzwischen trauriger Alltag. Besonders brisant: Die digitale Gewalt geht nicht selten mit gesellschaftlichen Phänomenen wie Sportwetten, Homophobie oder frauenfeindlichen Einstellungen einher. Die psychischen und sozialen Folgen sind gravierend. Doch es gibt auch Gegenmaßnahmen – sowohl auf persönlicher als auch auf institutioneller Ebene.
Warum gerade Leistungssportler? Die Mechanismen hinter dem Hass
Leistungssportlerinnen und Leistungssportler stehen im Rampenlicht. Ihre Leistungen sind öffentlich, messbar, teils durch Millionen von Zuschauern begleitet – und für viele durch Sportwetten direkt mit finanziellen Interessen verknüpft. Eine Kombination, die toxisches Verhalten begünstigt.
Ein besonders prägnantes Beispiel für diese Dynamik liefert die ehemalige deutsche Tennisspielerin Andrea Petkovic. In einem Interview mit t-online berichtet sie, dass rund 40 Prozent der Hassnachrichten, die sie während ihrer aktiven Karriere erhielt, aus dem Umfeld von Sportwetten stammten. Besonders nach verlorenen Matches, bei denen Fans – oder vielmehr Wettende – auf sie gesetzt hatten, seien die Reaktionen besonders brutal gewesen. Nachrichten wie „Ich hoffe, du stirbst an Krebs“ oder „Du bist der größte Müll, den ich je gesehen habe“ waren keine Seltenheit.
Die Möglichkeit, sich anonym hinter Pseudonymen und gefälschten Profilen zu verstecken, senkt die Hemmschwelle zusätzlich. Soziale Netzwerke wie Instagram, X (vormals Twitter) oder TikTok bieten in ihrer Struktur kaum Schutz vor Missbrauch. Hass wird algorithmisch verstärkt, Empörung mit Sichtbarkeit belohnt.
Hinzu kommt: Die gesellschaftliche Polarisierung und ein zunehmender Verlust von Diskussionskultur schlagen sich auch in der Kommunikation mit Sportlerinnen und Sportlern nieder. Besonders betroffen sind weibliche, queere oder nicht-weiße Athletinnen und Athleten – Gruppen, die ohnehin häufiger Zielscheibe von Diskriminierung sind.
Anonyme Trolle und frustrierte Sportwetter
Ein genauer Blick auf die Absender von Hassnachrichten zeigt, dass es sich keineswegs ausschließlich um anonyme Trolle handelt. Häufig stammen die Botschaften von frustrierten Sportwettenden, die durch den Verlust von Geld emotional aufgeladen reagieren. Sie projizieren ihre Enttäuschung über das eigene Scheitern oder finanzielle Verluste auf die Athleten – in der irrigen Annahme, „betrogen“ oder „im Stich gelassen“ worden zu sein. Psychologisch mischen sich dabei Kontrollverlust, Aggression und ein toxisches Anspruchsdenken: Wer Geld auf einen Sieg gesetzt hat, glaubt mitunter, auch emotionale oder gar persönliche Ansprüche an die Sportlerinnen und Sportler zu haben. Diese Projektion führt zu enthemmtem Verhalten – besonders im digitalen Raum, wo soziale Kontrolle und Konsequenzen fehlen. Wettportale und deren aggressive Bewerbung tragen dazu bei, Sport nicht mehr als Wettkampf, sondern als Investitionsobjekt zu betrachten – mit gefährlichen Nebenwirkungen für die Betroffenen.
Erfahrungen aus erster Hand: Wenn Hass konkret wird
Andrea Petkovic ist nicht allein. Auch andere Tennisprofis berichten von massiven Anfeindungen. Die deutsche Nachwuchsspielerin Eva Lys sagte gegenüber dem Hessischen Rundfunk, sie bekomme regelmäßig Hassnachrichten, teils auch auf der Straße. „Es ist wirklich erschreckend, was einem da teilweise entgegenschlägt – nur weil man ein Match verloren hat.“
Im Fußball ist das Phänomen ebenso präsent – wenn nicht sogar intensiver. Der australische Profifußballer Josh Cavallo, der sich 2021 als homosexuell outete, erhält seither regelmäßig Todesdrohungen. In einem Interview mit dem britischen Guardian sagte er: „Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht auf Instagram oder Twitter homophob beleidigt werde oder Morddrohungen bekomme. Dabei will ich einfach nur Fußball spielen.“
Auch deutsche Profis sind betroffen. Als der Darts-Spieler Gabriel Clemens 2023 bei einem Turnier frühzeitig ausschied, wurde er online mit „unzähligen beleidigenden Nachrichten“ konfrontiert, wie er dem Deutschlandfunk schilderte. Die Absender: Fans, die auf seinen Sieg gewettet hatten – und sich nun an ihm abreagierten.
Fußball-Nationalspieler Antonio Rüdiger erhielt während der Fußball-Europameisterschaft 2021 rassistische Nachrichten nach einem Foul gegen Paul Pogba. Der DFB stellte daraufhin Strafanzeige. Es war nicht das erste Mal: Schon bei der WM 2018 war Rüdiger Ziel von Online-Attacken geworden.
Die psychischen und gesellschaftlichen Folgen
Was als anonyme Nachricht auf dem Handy beginnt, hat reale Auswirkungen: Psychische Belastungen, Schlafstörungen, Angstzustände. Andrea Petkovic beschreibt in Interviews, wie sie überlegte, Social Media ganz aufzugeben – ein Schritt, der für aktive Sportlerinnen und Sportler jedoch schwer ist, da diese Plattformen auch wichtige Kanäle für Sponsoren, Fans und Medienarbeit darstellen.
Die mentale Gesundheit leidet. Inzwischen erkennen auch Sportverbände den Ernst der Lage. Die Women’s Tennis Association (WTA) hat Programme aufgelegt, um Spielerinnen psychologische Unterstützung zu bieten. Vorreiterinnen wie Naomi Osaka haben das Thema mentale Gesundheit öffentlich gemacht – allerdings auch den Preis dafür gezahlt, wie Rückzug von Turnieren oder mediale Kritik zeigen.
Auf gesellschaftlicher Ebene zeigt sich ein düsteres Bild: Die Hassnachrichten sind kein bloßes Einzelfall-Phänomen, sondern Spiegel einer allgemeinen Verrohung der Kommunikation. Der Sport als Bühne gesellschaftlicher Konflikte zeigt hier seine verletzliche Seite. Es geht längst nicht mehr nur um „Emotionen im Spiel“, sondern um digitale Gewalt mit realen Folgen.
Was wird getan? Strategien gegen digitalen Hass im Sport
Viele Athletinnen und Athleten haben ihre eigenen Wege gefunden, mit dem Hass umzugehen. Andrea Petkovic etwa ließ ihr Handy zeitweise von Freunden verwalten, um sich selbst zu schützen. Andere setzen konsequent auf Blockieren und Melden – doch diese Strategien wirken nur begrenzt.
Auf institutioneller Ebene wird versucht, technisch gegenzusteuern. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) setzt bei den Olympischen Spielen 2024 auf künstliche Intelligenz, um Hassnachrichten in sozialen Medien automatisch zu erkennen und zu löschen. Die Software, entwickelt von einem Berliner Start-up, analysiert Millionen von Posts und filtert gezielte Beleidigungen oder Bedrohungen heraus – ein ambitionierter, aber notwendiger Schritt.
Auch die UEFA arbeitet im Vorfeld großer Turniere mit Strafverfolgungsbehörden zusammen. So wurde zur Fußball-Europameisterschaft ein Frühwarnsystem installiert, das auffällige Accounts meldet. Die Zusammenarbeit mit der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) in Deutschland wird intensiviert, um Hassposter auch strafrechtlich zu verfolgen.
Wichtige Unterstützungsangebote kommen zudem aus der Zivilgesellschaft: Initiativen wie „No Hate Speech Movement“, „Gesicht zeigen!“ oder „HateAid“ bieten Beratung, juristische Hilfe und emotionale Begleitung. Einige Verbände, wie der Deutsche Fußball-Bund (DFB), arbeiten inzwischen mit diesen Organisationen zusammen.
Offene Baustellen und Herausforderungen
Trotz dieser Maßnahmen bleiben viele Fragen offen: Wie effektiv sind automatische Filter tatsächlich? Was passiert mit Hassnachrichten, die in privaten Nachrichten oder Kommentarspalten „durchrutschen“? Wie können Täter, die anonym agieren, überhaupt strafrechtlich belangt werden?
Ein zentrales Problem bleibt die langsame und oft lückenhafte Strafverfolgung. Zwar gibt es inzwischen rechtliche Grundlagen, etwa durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) oder Paragraph 241 StGB (Bedrohung). Doch die Praxis zeigt: Viele Anzeigen verlaufen im Sande. Die Hürden für eine Verurteilung sind hoch, die Täter oft nicht identifizierbar.
Ein weiteres Problem: Wiederholungstäter können sich jederzeit neue Accounts anlegen. Plattformen wie Meta oder X unternehmen nur wenig, um dies zu verhindern. Der Druck auf die Betreiber wächst – doch noch fehlt der politische Wille, härter durchzugreifen.
Strategien und Debatten
Droh- und Hassnachrichten an Leistungssportler sind kein Randphänomen mehr. Sie spiegeln eine gesellschaftliche Entwicklung wider, in der Anonymität, Frust und digitale Dynamiken eine gefährliche Mischung erzeugen. Die Betroffenen stehen im Kreuzfeuer zwischen öffentlicher Erwartung und persönlicher Verwundbarkeit.
Ein wirksamer Schutz kann nur durch ein Bündel an Maßnahmen erreicht werden: Persönliche Strategien wie Delegation und psychologische Betreuung, technische Filter durch künstliche Intelligenz, institutionelle Verantwortung der Verbände und konsequente Strafverfolgung. Darüber hinaus braucht es eine gesellschaftliche Debatte über digitale Gewalt und deren Normalisierung.
Sport ist mehr als Wettbewerb. Er ist Bühne, Vorbild, Lebensinhalt – und zunehmend auch ein Ort des Widerstands gegen Hass. Es liegt an allen Akteuren – von Fans über Verbände bis zur Politik – dafür zu sorgen, dass Athletinnen und Athleten nicht mehr Zielscheibe, sondern wieder Fokus für das sind, was sie wirklich tun: sportliche Höchstleistungen erbringen.