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Leistungssport und psychische Probleme – Zwischen Ruhm, Druck und innerem Zerfall

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Faszination mit Schattenseiten

Höchstleistungen, Disziplin, Ruhm – der Leistungssport wird oft als Paradebeispiel für menschliche Stärke inszeniert. Doch abseits der Kameras, Trophäen und Nationalhymnen leidet eine wachsende Zahl von Athlet:innen unter psychischen Problemen. Immer häufiger sprechen Stars offen über Depressionen, Ängste oder Erschöpfungszustände. Das jüngste Beispiel ist der deutsche Tennisspieler Alexander Zverev, der nach seiner Erstrundenniederlage in Wimbledon 2025 gegenüber RND bekannte: „Ich habe mich noch nie so allein und leer gefühlt.“ Seine Offenheit ist symptomatisch für einen lange tabuisierten Bereich des Spitzensports.

Warum Athlet:innen besonders gefährdet sind

Die Ursachen für psychische Belastungen im Leistungssport sind vielschichtig. Ein zentraler Faktor ist der frühzeitige Einstieg in intensive Trainings- und Wettkampfprogramme. Schon im Kindesalter werden Talente gesichtet, gefördert – und unter Druck gesetzt. Der Leistungsanspruch wächst mit jeder Altersklasse, dabei bleibt oft wenig Raum für persönliche Entwicklung abseits des Sports.

Hinzu kommen klassische Stressoren wie:

  • überlange Trainingszeiten mit geringem Ausgleich,
  • chronischer Leistungsdruck durch Vergleiche, Medien und Fans,
  • existenzielle Sorgen durch unsichere Karriereaussichten,
  • Verletzungsrisiken, die plötzlich alles beenden können.

Auch das soziale Umfeld leidet. Viele Athlet:innen berichten von Einsamkeit, fehlenden Freunden außerhalb der Sportblase oder einem Gefühl der Entfremdung vom normalen Leben. Zverev beschreibt diesen Zustand so: „Ich reise seit Jahren, gewinne Turniere, aber abends bin ich oft allein. Selbst wenn Menschen um mich sind.“

Psychische Erkrankungen im Leistungssport: Häufigkeit und Studienlage

Eine Reihe wissenschaftlicher Studien bestätigt, dass psychische Probleme unter Spitzensportler:innen verbreiteter sind, als lange angenommen. Die Internationale Olympische Komitee (IOC) veröffentlichte 2022 eine Metaanalyse, die belegt:

  • Bis zu 34 % aller befragten Leistungssportler:innen zeigen Symptome einer Angststörung oder Depression.
  • 19 % kämpfen mit Substanzmissbrauch (v. a. Alkohol).
  • Frauen und Mannschaftssportlerinnen sind überdurchschnittlich betroffen.

Die ATOS-Kliniken berichten zudem, dass jede vierte Person im Profisport bereits psychische Beschwerden wie Burnout oder Anpassungsstörungen erlebt hat. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein – denn viele schweigen aus Angst vor Stigmatisierung.

Bekannte Fallbeispiele: Wenn Stars zerbrechen

Die Offenheit von Zverev ist ein wichtiger Schritt – doch er ist längst nicht der Erste, der unter der Last des Sports leidet.

Michael Phelps, der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten, bekannte 2018 in einer Dokumentation: „Ich wollte nicht mehr leben. Ich fühlte mich leer, wertlos, obwohl ich alles gewonnen hatte.“ Phelps kämpfte jahrelang mit Depressionen – seine Geschichte hat unzählige Betroffene inspiriert.

Simone Biles, US-amerikanische Turnikone, zog sich 2021 bei Olympia öffentlich zurück. Sie begründete es mit mentaler Erschöpfung. Der Schritt wurde zunächst kritisiert, später jedoch als Meilenstein für mentale Gesundheit im Spitzensport gewertet.

Örn Vésteinsson, isländischer Handballprofi in Deutschland, beendete seine Karriere frühzeitig, weil er sich in einem permanenten Zustand mentaler Überforderung befand. „Ich hatte Angst, auf das Spielfeld zu gehen. Der Sport, den ich liebte, machte mich krank“, sagte er gegenüber isländischen Medien.

Auch deutsche Athletinnen wie Pauline Schäfer (Turnen) oder Andrea Petkovic (Tennis) thematisierten zuletzt toxische Trainingssysteme, emotionale Erpressung und psychischen Missbrauch in ihren Karrieren.

Systemische Ursachen und psychologische Mechanismen

Viele Probleme sind nicht individuell, sondern systemisch bedingt. In der Leistungssportstruktur dominiert häufig ein Klima der Härte: Wer Schwäche zeigt, gilt als instabil, als Risiko – und wird oft aussortiert. Psychische Erkrankungen gelten als Stigma, werden ignoriert oder bagatellisiert.

Dabei spielen auch psychologische Mechanismen wie Überidentifikation mit der Rolle als Sportler:in oder perfektionistische Selbstanforderungen eine Rolle. Wird die sportliche Leistung zur einzigen Quelle des Selbstwerts, kann ein Misserfolg existenzielle Krisen auslösen.

Nach dem Karriereende fehlt vielen ehemaligen Profis eine neue Identität, eine neue Lebensstruktur. Dieses post-sportliche Loch wird oft unterschätzt. „Ich wusste nicht, wer ich bin, wenn ich kein Schwimmer mehr bin“, beschreibt es ein Ex-Athlet in der Studie „Psychische Gesundheit nach der Karriere“ der DSHS Köln.

Ansätze zur Prävention und Intervention

Erfreulicherweise wächst das Bewusstsein für das Thema – sowohl auf institutioneller als auch individueller Ebene. Einige gute Beispiele:

  • Die MedUni Wien kooperiert seit 2024 mit dem Österreichischen Schwimmverband, um Schwimmer:innen frühzeitig psychologisch zu begleiten.
  • Das deutsche Projekt MentalGestärkt der DSHS Köln bietet Workshops, Beratung und Netzwerke für Trainer:innen und Sportler:innen.
  • Das SMHAT-1-Screening-Instrument wurde vom IOC entwickelt, um bei Athlet:innen psychische Symptome systematisch zu erfassen.

Auch Sportärzt:innen und Psychotherapeut:innen fordern verstärkt niedrigschwellige Angebote wie Online-Hotlines, Gruppenangebote oder Psychosportambulanzen. In einem Interview mit der Sportärztezeitung betonte der Psychiater Prof. Dr. Valentin Markser: „Mental Health gehört ins Zentrum jeder sportmedizinischen Betreuung.“

Die Rolle von Medien, Verbänden und Trainer:innen

Medien tragen Mitverantwortung. Noch immer werden Leistungseinbrüche als persönliche Schwäche dargestellt, mentale Themen als Nebensache. Eine sensiblere Sprache – z. B. kein „Versagen“ bei Niederlagen – ist ein wichtiger Schritt.

Verbände und Vereine müssen systemisch handeln: Psychologische Betreuung darf nicht optional, sondern muss verpflichtender Bestandteil der Förderung sein. Auch Trainingskulturen müssen sich ändern: weniger Druck, mehr Verständnis für menschliche Grenzen.

Trainer:innen kommt eine Schlüsselfunktion zu. Sie müssen in mentaler Gesundheit geschult werden und erkennen, wann ihre Schützlinge Hilfe brauchen. Marion Sulprizio, Sportpsychologin an der Uni Leipzig, sagt dazu: „Ein Trainer, der psychische Stabilität mitfördert, ist Gold wert.“

Handlungsempfehlungen im Überblick

Stakeholder Empfehlung
Sportverbände Verpflichtende mentale Gesundheitschecks und Angebote verankern
Trainer:innen Ausbildung in sportpsychologischer Grundkompetenz
Sportler:innen Offenheit fördern, Hilfsangebote nutzen, Peer-Netzwerke gründen
Politik Fördermittel für psychische Gesundheit im Sport erhöhen
Medien Berichterstattung respektvoll und sachlich gestalten

Eine gesunde Sportwelt braucht mentale Stärke – und Fürsorge

Die psychische Gesundheit von Leistungssportler:innen darf kein Tabuthema mehr sein. Die jüngsten Bekenntnisse prominenter Athlet:innen wie Alexander Zverev, Simone Biles oder Michael Phelps zeigen: Der Druck an der Spitze ist enorm – und kann krank machen.

Doch es gibt Hoffnung: Mit mutigen Vorbildern, systemischen Reformen und wachsendem öffentlichen Bewusstsein wandelt sich das Klima. Psychische Gesundheit darf nicht länger als Schwäche gelten – sondern als fundamentaler Teil sportlicher Exzellenz.

Der Weg zu einem wirklich gesunden Spitzensport ist lang. Doch er beginnt mit jedem offenen Wort – und jeder strukturellen Veränderung, die mentale Stärke nicht fordert, sondern auch schützt.

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