Balljungs – Der Fußball Blog Rund um Bundesliga, Champions League und Europa League
concussion - John Martinez Pavliga - CC BY 2.0

Sechsmal Kopftreffer bei Frankfurt-Köln – Gehirnerschütterungen im Fußball

| Keine Kommentare

Leistungssport geht häufig über das gesunde Maß an Sport hinaus. In der NFL (American Football) ist es längst üblich, dass viele Spieler regelmäßig Schmerzmittel einnehmen. Dass es auch in der Bundesliga viele Fälle gibt, bei denen eher unvernünftig gehandelt wird, muss man gerade Eintracht-Fans aktuell nicht sagen. „Zwei Bänder sind durch und ich habe eine Schulterläsion“, kommentierte Martin Hinteregger seine Diagnose nach dem Spiel gegen Fenerbahce. Trotzdem spielte er drei Tage später in Wolfsburg und auch diese Woche gegen Köln über die volle Spielzeit. Während das jedoch diskutabel ist und man sagen kann „Selbst Schuld“, gibt es Verletzungen, bei denen das anders ist: Kopfverletzungen.

Hinweis: Dieser Artikel ist kein Sachtext eines ausgebildeten Arztes, sondern eine Zusammenstellung von selbst recherchierten Informationen. Alle Informationen wurden über mehrere Quellen kontrolliert, trotzdem kann eine vollständige Richtigkeit nicht garantiert werden. Sollten trotz gründlicher Recherche inhaltliche Fehler auftreten, bitte ich um schnellstmögliche Kontaktaufnahme, um diese erneut zu kontrollieren und ggf. korrigieren zu können. Vielen Dank!

Sechs Kopftreffer gegen Köln

Im Spiel gegen den 1. FC Köln kam es im Laufe der ersten Halbzeit gleich zu sechs Vorfällen, in denen Spieler nach einem Kopftreffer behandelt werden mussten. Vier Spieler spielten trotzdem (teils vorerst) weiter. Martin Hinteregger (38.) bekam einen Arm an den Kopf, die Behandlung fand nur kurz statt, da sich parallel noch zwei weitere Spieler verletzten. Ellyes Skhiri (44.) bekam aus kurzer Distanz einen Ball ins Gesicht und verlor dadurch kurzzeitig das Gleichgewicht. Beide beendeten ohne offensichtliche Probleme das Spiel.

Timothy Chandler, einer der anderen beiden Verletzten aus der 38. Minute, spielte das Spiel zwar zu Ende, hatte jedoch eine große Platzwunde am Hinterkopf. Diese musste auf dem Feld provisorisch geflickt werden, die Halbzeitpause verbrachten die Ärzte damit, die Wunde zu nähen. „Nach sorgfältiger Behandlung waren sich Chandler und die medizinische Abteilung einig, dass es für ihn weitergehen konnte. Es bestand weder von Spieler- noch von medizinischer Seite ein Risiko. Der Spieler wie das Ärzteteam hatten grünes Licht gegeben“, verkündete die Eintracht nach dem Spiel. Doch Chandler berichtete anders. Er habe das Spiel über einen Brummschädel gehabt. Auch die Nacht danach sei schmerzhaft gewesen und „das werde noch ein paar Tage anhalten.“

Benno Schmitz, der mit Chandler zusammengeprallt war, wurde ebenfalls länger behandelt, spielte dann aber weiter. Ob seine Halbzeit-Auswechslung der Verletzung geschuldet war, ist nicht bekannt. Kölns Innenverteidiger Luca Kilian musste nach einem Zusammenprall mit Keeper Timo Horn mehrere Minuten behandelt werden, kehrte dann auf den Platz zurück, nur um nach einer Spielminute doch den Platz zu verlassen. Er hätte gar nicht wieder auf den Platz gehen dürfen.

Sorgenkind Erik Durm

Am heftigsten erwischte es Eintracht-Verteidiger Erik Durm. Er wurde von Gegenspieler Florian Kainz mit dem Ellbogen im Gesicht erwischt. Er fiel zu Boden und verlor die Körperspannung, möglicherweise sogar kurz das Bewusstsein. Dadurch prallte nach seiner Schulter auch sein Kopf auf den Boden auf.

Nach mehrminütiger Behandlung steht er am Spielfeldrand und hat offensichtlich Probleme, die Augen offen zu halten – Lichtempfindlichkeit ist ein häufiges Symptom einer Gehirnerschütterung. Nach über 3 Minuten Behandlungs- und Diskussionszeit ist dann Schluss für Durm, er geht um den Platz in Richtung Bank.

Was besprochen wurde, lässt sich nur vermuten. Mannschaftsarzt Prof. Dr. med. Florian Pfab ist mehrmals kopfschüttelnd zu sehen, wie er auf Durm einredet. Die Vermutung liegt also nahe, dass Pfab den Spieler erst davon überzeugen musste, dass es nicht weitergeht. Doch wenn er Spieler sich eventuell fit gefühlt hat, wieso durfte er dann nicht weiterspielen?

Gehirnerschütterungen – die versteckte Gefahr

Das Schlimme an Kopfverletzungen sind aber nicht etwa die Platzwunden, wie sie Timothy Chandler davongetragen hat. Natürlich kann davon auch eine Gefahr ausgehen, doch ist diese meist offensichtlich. Tückischer ist die Gehirnerschütterung.  Bei einer Gehirnerschütterung schlägt das Gehirn, das sich natürlicherweise in einer Flüssigkeit befindet, gegen den Schädelknochen. Typische kurzfristige Folgen sind Verwirrung, Erinnerungslücken, kurze Bewusstlosigkeit und natürlich Kopfschmerzen. Eine Gehirnerschütterung wird vom Arzt in der Regel per „Glasgow-Koma-Test“ überprüft. Dabei werden die Bereiche Sehen, Sprechen und Bewegen überprüft. Wichtig hierbei: Nicht immer bemerkt der Verletzte, dass es ihm gerade schlecht geht. Gerade im Adrenalin-Rausch können Spieler sich selbst für gesund halten, müssen in diesen Situationen aber unbedingt vor weiteren Traumata geschützt werden.

Während eine einzelne Gehirnerschütterung durchaus problematisch sein kann, ist sie in der Regel nicht lebensgefährlich. Es treten zwar Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Kreislaufbeschwerden oder Schlafstörungen auf, jedoch gehen diese meist ohne weitere Behandlung mit etwas Ruhe wieder weg. Doch dass es auch hier Ausnahmen gibt, zeigt beispielsweise der Sohn von Frankfurts Ex-Sportdirektor Bruno Hübner. Benjamin Hübner erlitt im 2018 im Trainingslager der TSG Hoffenheim eine Gehirnerschütterung, die sich über fast 3 Monate lang zog. 14 Bundesliga-Spieltage verpasste er in dieser Zeit. Er berichtet davon als die „schlimmste Zeit meiner Karriere“. Diese Gehirnerschütterung zog er sich nicht einmal bei einem Tackling sondern bei einem einfachen Kopfball zu.

Richtig gefährlich werden Gehirnerschütterungen jedoch vor allem in der Summe. Sowohl über kurze als auch lange Zeit. Während eine einfache Gehirnerschütterung in der Regel keine körperlichen Folgen hat, kann ein erneuter Schlag auf den Kopf mit noch nicht genesener Gehirnerschütterung zu schwereren Folgen führen. Kommt es zu erneuten Treffern, kann das zu Gehirnschwellungen und/oder –blutungen führen, die das Gehirn langfristig beschädigen oder sogar zum Tod führen können.

Die Footballer-Krankheit „CTE“

Lange wurde geglaubt, dass Gehirnerschütterungen, wenn sie einmal auskuriert sind, keine langfristigen Schäden mehr von sich tragen. Doch diese Ansicht änderte sich mit den Untersuchungen zur Chronischen Traumatischen Enzephalopathie – kurz CTE. In der NFL, in der das Thema Gehirnerschütterungen aufgrund der vielen Zusammenstöße ein präsenteres Thema ist, kam die Verbindung von Gehirnerschütterungen zu langfristigen Verletzungen des Gehirns erstmalig 1997 ins Gespräch. Lange wurde das jedoch als nichtig abgetan, bis 2007 die Ärzte Kevin Guskiewicz und Julian Bailes eine Studie durchführten, bei der sie die Gehirne von Toten auf Verletzungen untersuchten. Hierbei wurde festgestellt, dass mehrere untersuchte Footballer ähnliche Hirnschädigungen wie Patienten mit Alzheimer oder Demenz aufwiesen. Der Film „Erschütternde Wahrheit“ (im Original: Concussion) ist hierzu sehr sehenswert.

Während die NFL sich lange dagegen wehrte, Verantwortung für diese Verletzungen zu unternehmen, ist es mittlerweile eine in der Wissenschaft anerkannte Meinung, dass Football über Gehirnerschütterungen zur Krankheit CTE führen kann. Ein „berühmtes“ Beispiel hierfür ist Aaron Hernandez, der für Mord verurteilt und später im Gefängnis erhängt gefunden wurde. Der ehemalige Spieler der New England Patriots war von CTE im fortgeschrittenen Stadium betroffen.

Gehirnerschütterungen im Fußball – Was tun?

Auch im Fußball wird das Thema Gehirnerschütterungen immer präsenter. Der bekannteste Fall dürfte Christoph Kramer sein, der sich nach einem Kopftreffer im Weltmeisterschaftsfinale 2014 nach eigenen Berichten nicht einmal mehr an das Finale selbst erinnern kann. Richtig schnell geht die Entwicklung aber auch im Fußball nicht voran, obwohl es von der NFL entsprechende Beispiele gibt: Gibt es bei einem Spieler den Verdacht auf eine Gehirnerschütterung, muss mittlerweile ein team-unabhängiger Arzt den Spieler untersuchen und wieder zum Spiel freigeben.

Ein erster Schritt wurde dieses Jahr bei der Klub-WM der FIFA unternommen – hier wurde das Regelwerk dadurch ergänzt, dass Teams bei dem Verdacht auf eine Gehirnerschütterung einen weiteren Wechsel zur Verfügung gestellt bekommen. So sollte dagegen abgesichert werden, dass Spieler trotz Gehirnerschütterung weiterspielen, weil das Team keine Wechsel mehr zur Verfügung hat. Von der Regel wurde im Laufe des Wettbewerbs jedoch kein Gebrauch gemacht.

Die Deutsche Fußball Liga wollte ein ähnliches Vorgehen wie in der NFL oder bei der Klub-WM zwar überprüfen, der zusätzliche Wechsel wurde jedoch abgelehnt. Ob bald unabhängige Tests notwendig werden, ist nicht bekannt – deshalb aber auch als entsprechend unwahrscheinlich anzusehen. Wichtig wäre es jedoch, denn Spieler, die offensichtlich gefährdet sind, eine Gehirnerschütterung erlitten zu haben, riskieren im Moment des Weiterspielens ihre Gesundheit sowohl im Jetzt als auch in der Zukunft.

Was der Fußball nicht tun sollte

Die einfache Antwort wäre natürlich: Die Spieler nicht weiterspielen lassen. Doch ab wann ist die Grenze erreicht, in der man das Wohl des Teams aufgibt, um die Gesundheit der Spieler zu schützen? Bei der Eintracht waren mit zunächst Durm und später Chandler gleich beide Linksverteidiger-Backups für den ohnehin verletzten Christopher Lenz betroffen. Trainer Oliver Glasner stand also vor der Wahl, seine Mannschaft umzustellen oder Chandler weiterspielen zu lassen. Meiner Ansicht nach gibt es hier nur eine Antwort: Die Gesundheit geht vor, egal wie prekär die Lage ist. Und auch wenn die Eintracht betont, dass Arzt und Spieler grünes Licht gegeben hätten, berichtete Chandler von Kopfschmerzen und auf eine mögliche Gehirnerschütterung angesprochen entgegnete er: „Das kann ich noch nicht sagen.“ Es war also nicht alles so sicher, wie es kommuniziert wurde. Ein Weiterspielen ist der Meinung des Autors nach also vor allem eines: Unverantwortlich!

Während jedoch bei diesem Prozess professionelle Ärzte anwesend sind, um das zu bewerten, sollte das Thema auch in den Gesprächen darüber nicht verharmlost werden. Immer wieder werden Spieler, die sich selbst durch Verletzungen quälen, als besonders hart oder männlich beschrieben. Hinteregger wurde aufgrund seiner Schulterverletzung als „echter Mann“ betitelt. Chandler sei „ein harter Hund“ oder „unglaublich hart im Nehmen“ – doch das stimmt nicht. Während der Spieler in diesem Moment vielleicht glaubt, das wegstecken zu können, kann es das Gehirn möglicherweise nicht. Kopfverletzungen sind eine ernsthafte und oft versteckte Gefahr und sollten auch als eben diese angesprochen werden. Verharmlosungen oder Lobpreisungen für den Spieler sind nicht nur unangebracht, sie bauen auch Druck auf andere Sportler auf. Nicht nur Mitspieler, auch Hobby-Fußballer vorm Fernseher ziehen aus solchem Lob möglicherweise die falschen Schlüsse. Egal ob der Starfußballer in der Bundesliga oder der C-Junioren-Kreisligist: Gehirnerschütterungen sind überall ein Thema. Das zu verharmlosen gefährdet Menschenleben.

Dass im vergangenen Spiel von 6 offensichtlichen Kopfverletzungen nur ein Spieler sofort den Platz verlies, aber mindestens ein weiterer (vermutlich zwei) noch etwas später das Spiel abbrechen musste und noch einer selbst nach dem Spiel eine Gehirnerschütterung nicht ausschließen konnte, spricht nicht für einen korrekten Umgang mit der Thematik und lässt weiteren Handlungsbedarf offen.

Autor: Nik Staiger (Twitter @Nik_Staiger)

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.